Vernetzung für die Verbesserung der Lebensbedingungen von NS-Verfolgten

Minsker Ghetto
In Minsk fand vom 4.2. bis 11.2. 2008 ein Vorbereitungstreffen für ein Projekt zur Hilfe alter Menschen statt, die unter unterschiedlichsten Umständen als Verschleppte, Gefangene und Zwangsarbeiter persönlich ganz besonders unter dem NS-Regimes und seinem verbrecherischen Krieg zu leiden hatten. Eingeladen hatte uns nach Minsk „Dolja“, Verband ehemaliger Zwangsarbeiter im Partisanskij Bezirk Minsk, aus Minsk kamen hinzu Studentische Freiwillige, die zusammen mit Dolja und für die Mitglieder von Dolja praktische Unterstützung leisten. Aus Perm/Russland kamen Mitglieder von „Youth Memorial“, die u.a. auch freiwillige soziale Pflege von älteren Menschen, Opfern von Repression organisieren; aus Hamburg kamen Mitglieder des Vereins Psychosoziale Arbeit mit Verfolgten, die Beratung, praktische Hilfe und Unterstützung für NS-Verfolgte in Hamburg anbietet.

Wir arbeiten in Hamburg seit langen Jahren mit und für NS-Verfolgte und beteiligen uns an Initiativen, Erfahrungsaustausch und Projekten zur Verbesserung der Lebenssituation alter und pflegebedürftiger Verfolgter in Deutschland. Der Zusammenarbeit mit den Organisationen der Betroffenen kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Zum anderen ist klar, dass Angebote für Betroffene, die ihren Bedürfnissen auch nur annähernd entsprechen, ohne ehrenamtliche Arbeit Vieler undenkbar wäre. Im Rahmen eines Kooperationsprojektes zwischen der KZ-Gedenkstätte Neuengamme bei Hamburg, Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, dem ambulanten Pflegedienst Solidarische Hilfe im Alter und dem Verein „Psychosoziale Arbeit mit Verfolgten“ haben wir seit mehreren Jahren junge Freiwillige aus der Ukraine, Russland und Belarus kennen gelernt, die jeweils für ein Jahr regelmäßig einige „unserer“ alten Verfolgten in Hamburg persönlich unterstützen. Aus der praktischen Zusammenarbeit mit den Freiwilligen ist die Idee zu einem internationalen Austausch auch mit den Institutionen/Organisationen aus den Herkunftsländern der Freiwilligen gewachsen. Ein sehr konkretes Ergebnis unserer Überlegungen war das Seminar in Minsk, das uns durch die Förderung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ ermöglicht wurde.

Wir haben schon viele Seminare, Workshops etc. mit dem Versuch einer bundesweiten Vernetzung erlebt – allerdings hat uns das Seminar in Minsk begeistert. Es war in sehr kurzer Zeit möglich, sich über sprachliche und sonstige Hindernisse hinweg auf eine terminliche und inhaltliche Planung zu einigen. Die Organisation, die Verbindlichkeit und Logistik in Minsk waren vorbildlich, so dass ein interessantes und – vom Ergebnis – erfolgreiches Arbeiten möglich wurde. Aller anfänglichen Skepsis zum Trotz war es in sehr kurzer Zeit möglich, sowohl die unterschiedlichen Ausgangspunkte, Bedingungen und Möglichkeiten der beteiligten Organisationen darzustellen als auch gemeinsame Perspektiven zu entwickeln.
Persönliche Begegnungen

Die Möglichkeit, vor Ort im Rahmen von persönlichen Besuchen etwas über die konkreten Arbeits- und Lebensbedingungen des Vereins „Dolja“ in Minsk zu erfahren, vertiefte das, was in der Seminararbeit dazu gesagt wurde. Insbesondere war es für alle Teilnehmerinnen außerordentlich, dass für die angereisten Gäste zudem unterschiedliche Perspektiven zum Tragen kamen: Die Sicht deutscher, russischer, französischer Teilnehmerinnen, für die alle die besondere Geschichte von Minsk und Belarus noch nie so aus der Nähe und im Detail betrachtet worden war.
Daraus wurde schnell klar, dass längerfristig vergleichbare Erkundungen vor Ort in Perm oder Hamburg ebenso notwendig sein werden.
Zum anderen war auffällig, dass es bereits ein hohes Maß an gemeinsamen Vorstellungen über Rahmenbedingungen für einen sinnvollen Freiwilligeneinsatz gibt: hinsichtlich Problemen der Anwerbung, der Auswahlkriterien, der Vorbereitung, Begleitung und Auswertung. Ebenso zur Bedeutung von Freiwilligenarbeit für die Möglichkeit praktischer Unterstützung Betroffener. Offensichtlich spielt überall die Annäherung zwischen der Großmütter/vätergeneration und der Enkelgeneration eine herausragende Rolle in der Vermittlung persönlicher und historischer Erfahrungen – jenseits des politisch festgeklopften Geschichtsbildes und dem häufig damit verbunden Schweigen der Betroffenen über ihre persönliche Perspektive.
Es wurde deutlich, dass in allen drei Städten/Ländern Aufklärung und Forschung zu historischen Ereignissen und ihren Folgen für die daran Beteiligten und für die Opfer notwendig bleibt und insbesondere auch den weiteren Verlauf bis heute im Blick haben muß. Nichts scheint da ein besserer Ausgangspunkt als die lebendige Begegnung zwischen Menschen. Zumal hier – idealerweise – eine Situation entstehen kann, in der beide Subjekte bleiben, an einem Verständigungsprozeß und einem Veränderungsprozeß beteiligt sind.
Perspektiven

Es gelang in dem einwöchigen Seminar, alle wesentlichen Bausteine zusammenzutragen, um ein größeres und längerfristiges Projekt auf den Weg zu bringen: „Transfer“ . Daraus ist inzwischen zumindest ein Finanzantrag an „Jugend in Aktion“ entstanden und wir sind auf der Suche nach weiteren Geldgebern – für Teilbereiche, kurzfristig und längerfristig.

Denn die gemeinsame Perspektive besteht vor allem darin, wie können wir Strukturen herstellen, in denen systematischer und kontinuierlicher Erfahrungsaustausch, Diskussion von Schwerpunkten Problemen und Zielen, Vermittlung historischer Erfahrungen und politischer Rahmenbedingungen möglich ist, ohne jedes Mal wieder bei Null anfangen zu müssen. Die lebendige Verbindung sind Freiwillige und Organisationen, die sich die Vermittlung praktischer Hilfe zum Ziel gesetzt haben.
Petra Vollmer und Hartmut Wehrstedt, Verein Psychosoziale Arbeit mit Verfolgten e.V., Hamburg