Entsteht ein trinationaler Austausch?

Spuren der Erinnerung in Minsk

Vom 04.02.08 bis zum 11.02.08 fand in Minsk, in der Hauptstadt von Belarus, ein Seminar statt, an dem VertreterInnen vom Verein „Psychosoziale Arbeit mit Verfolgten“ aus Hamburg, Memorial aus Perm (eine Binnenhafenstadt an der Kama in Russland am Ural-Gebirge), des Verbandes ehemalige Zwangsarbeiter „Dolja“ aus Minsk und aktuelle oder ehemalige Freiwillige teilgenommen haben.

Das Seminar wurde von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ finanziert. Das Ziel dieses Treffens war die Entwicklung eines transnationalen Netzwerkes im Bereich der Altenhilfe, im Rahmen dessen die obengenannten Organisationen einen Freiwilligenaustausch zwischen ihren Ländern vorbereiten wollten. Dabei soll ein dreifacher Austausch entstehen: deutsch-belarussischer, deutsch-russischer und belarussisch-russischer Austausch. In Hamburg, Minsk und Perm sollen ausländische Freiwillige ehemalige politisch verfolgte ältere Menschen betreuen und gleichzeitig ihre sozialen und sprachlichen Kompetenzen verbessern.

Zu Anfang merkte man, wie stark die Sprachbarriere bei vielen TeilnehmerInnen war. Aber unser engagierter Dolmetscher Sergej Laboda konnte die Atmosphäre gut entspannen, so dass am Ende des Treffens viele TeilnehmerInnen keine Übersetzung mehr brauchten und selbst ins Gespräch kamen.Am ersten Tag haben die Organisationen sich vorgestellt. Es war interessant für mich festzustellen, wie ähnlich und gleichzeitig unterschiedlich diese drei Einrichtungen sind. Dolja und der Verein Psychosoziale Arbeit mit Verfolgten wurden in demselben Jahr 1996 gegründet und beschäftigen sich seitdem einerseits mit ehemaligen NS-ZwangsarbeiterInnen aus dem Partisanskij Bezirk in Minsk und andererseits mit NS-Opfern und ihren Angehörigen in Hamburg. Memorial hat auch mit der Unterstützung von ehemaligen politisch Verfolgten in der Sowjet-Union, im Perm-Gebiet angefangen. Zurzeit sind die Mitglieder von Memorial auch in verschiedenen anderen Bereichen tätig (z.B. Jugendaustausch, Sommerlager, Unterstützung von Zivildienstleistenden). Alle diese Organisationen haben gemeinsam, dass sie älteren Menschen, die pflegebedürftig und allein sind, helfen und deren spezielle Bedürfnisse von den jeweiligen Staaten vernachlässigt werden.

Seminar in Minsk 2008

Im Laufe des Seminars haben wir, mit der Hilfe von unserer Moderatorin Nadine Gevret, das Modell eines Freiwilligenaustauschs entwickelt, wo unter anderem auch die Vorbereitung, Fortbildung während des Freiwilligeneinsatzes und Nachbereitung von Freiwilligen berücksichtigt werden . Dabei war die Teilnahme von aktuellen und ehemaligen Freiwilligen sehr wichtig, da sie dann aus ihren eigenen Erfahrungen gute Vorschläge für die Arbeits- und Lebensbedingungen für zukünftige Freiwillige gemacht haben.

Jeden Tag haben wir an der Entwicklung des neuen Projekts gearbeitet und dabei vieles über Belarus, Deutschland und Russland gelernt.

Je mehr wir das Projekt diskutierten, desto mehr Probleme kamen dabei zum Vorschein. Das größte Problem für unseren Austausch stellt die Finanzierung dar. In Belarus und in Russland ist es schwer und zum Teil unmöglich finanzielle Unterstützung von der Regierung zu erhalten. Außerdem werden Spenden, die NGOs von privaten Firmen bekommen, vom Staat stark besteuert. Die Bedingungen, z.B. dem versteuern von Mitteln aus anderen Ländern sowie weiteren Kontrollen, die der russische und der belarussische Staat den westlichen NGO’s und Stiftungen auferlegt haben, zwingen sie Belarus und Russland zu verlassen und die Finanzierung von verschiedenen Projekten einzustellen. Dies führt dazu, dass zurzeit „Dolja“ kaum die Miete für ihr Büro in Minsk bezahlen kann oder dass Memorial jedes Jahr auf ein Wunder hoffen muss, dass jemand sich doch bereit erklären wird, sie zu unterstützen. Aufgrund dieser Situation konnten wir während des Seminars keinen Weg finden, wie wir den belarussisch-russischen Austausch finanzieren könnten. Hinzu kam noch das Problem, dass belarussische oder russische Freiwillige sich eher für eine Arbeit im Westen interessieren als irgendwo in Minsk oder Perm. Ein ähnliches Problem gibt es auch bei vielen deutschen Freiwilligen, die wenig von einem Aufenthalt in Belarus oder Russland begeistert sind, und wenn ja, dann können sie in den seltensten Fällen Russisch sprechen. Trotz aller dieser Schwierigkeiten ist es sehr wichtig, das Projekt auf die Beine zu stellen und durchzuführen. Das kann nicht nur den drei Organisationen, ihren Freiwilligen und den zu betreuenden Menschen helfen, sondern auch den belarussischen, deutschen und russischen Gesellschaften, auf die Problemen von ehemaligen politisch verfolgten älteren Menschen hinzuweisen.

In Minsk hatten wir auch die Möglichkeit verschiedene Gedenkstätten zu besuchen. Wir nahmen an einer öffentlichen Führung in Chatyn teil, waren mit einem Begleiter in Schahkowka, Malyj Trostinez und Kurapaty. Dort konnten die TeilnehmerInnen sich mit der Geschichte ihrer Länder auseinandersetzen und viel diskutieren. Außerdem hat uns die Vorsitzende von „Dolja“ Regina Lawrowitsch angeboten, drei Mitglieder ihres Verbands in drei Gruppen zu besuchen. Dieses Angebot nahmen wir gerne wahr und konnten interessante Gespräche mit ehemaligen Zwangsarbeiterinnen führen. Diese Begegnung war auch für die Dolja-Freiwilligen erfolgreich, weil viele von ihnen erst zum ersten Mal dazu gekommen sind, mit „Dolja“ Mitgliedern über ihre Geschichte und ihr Schicksal zu sprechen. Alle „Dolja“ Freiwillige, außer zwei deutschen ASF Freiwilligen, sind Studenten und sie müssen 40 Mitglieder des Verbands betreuen. Daher haben sie meistens keine Zeit, noch lange Gespräche zu führen. Unser Seminar hat ihnen aber gezeigt, wie wichtig es doch ist, mehr Zuwendung diesen älteren Menschen zu geben, damit sie sich nicht so allein und verlassen fühlen.

Ich hoffe, dass es uns gelingt, das Projekt des trinationalen Austausches zu initiieren. Allerdings kann man feststellen, dass mit diesem Seminar schon ein Anfang gefunden wurde. Die TeilnehmerInnen des Seminars haben viel über Belarus, Deutschland und Russland gelernt. Der Verein Psychosoziale Arbeit mit Verfolgten hat danach an einem Informationsnachmittag seinen Klienten über die Lage von älteren Menschen in Minsk berichtet.
Julia KONOSOVA, ASF-Freiwillige in Hamburg, Mai 2008